Die Pläne der Ampelkoalition: Konsequenzen für den Lebensschutz

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Was bedeutet die neue Regierung für den Lebensschutz? Um es kurz zu machen: Nach den im Koalitionsvertrag angekündigten Plänen und ihrer teilweisen Realisierung schon zu Beginn der Amtszeit: Nichts Gutes. Gehen wir das im Einzelnen durch.

Auf Seite 116 des Koalitionsvertrages zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP steht die auf den ersten Blick positiv klingende Überschrift: „Reproduktive Selbstbestimmung“. Darunter gehen die Koalitionäre mehrere Themen an, mit dem der Lebensschutz Ungeborener massiv eingeschränkt wird. Zunächst heißt es:

„Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.“

Hier wird offensichtlich darauf Bezug genommen, dass es inzwischen weniger Ärzte als früher gibt, die bereit sind, Abtreibungen vorzunehmen. Denn nach der Ärztlichen Berufsordnung sind bekanntlich „Ärztinnen und Ärzte … grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten [… Und] Ärztinnen und Ärzte können nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen.“ (§ 14 Berufsordnung f.Ä.) Mangelnde Abtreibungsbereitschaft der Ärzte scheint nun teilweise für längere Anfahrtswege der betroffenen Frauen zu sorgen. Es bleibt jedoch offen, wie genau die „Lösung“ der „Ampel“ dafür aussehen soll: Schlimmstenfalls könnte aus diesem Absatz folgen, dass Gynäkologen künftig verpflichtet werden könnten, Abtreibungen vorzunehmen bzw. Medizinstudent/-innen im Zuge ihrer Ausbildung oder ihrer Weiterqualifizierung zum Gynäkologen dazu verpflichtet werden sollen, sich darin zu üben.

Weiter steht da:

„Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen.“

(Die Koalitionäre hätten den sonst auch üblichen Begriff „Gehsteigberatungen“ wählen können – in der bestehenden Formulierung wird deutlich, dass deren negative Wertung als „Belästigungen“ offenbar von der Koalition stammt.)

Schon heute werden Gebetswachen oder Gehsteigberatungen vor Praxen, die Abtreibungen vornehmen, manchmal erschwert (z. B. mit Abstandsauflagen wie „Bannmeilen“) oder gar ganz verboten, was im Streitfall vor Gericht zu durchaus unterschiedlichen Entscheidungen geführt hat. Klar sollte hier aber eigentlich sein: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Demonstrationsfreiheit gilt nicht nur für die einer Regierung politisch genehm erscheinenden Meinungen und auch nicht nur für die Kundgabe von Meinungen, solange diejenigen, die angesprochen werden sollen, davon nichts sehen oder hören können. Würde ein Gericht oder eine Stadtverwaltung jemals auf die Idee kommen, eine Demonstration gegen ein bestimmtes Unternehmen in Sichtweite dieses Unternehmens zu verbieten? Auf den umfänglichen Schutz dieses Grundrechts ist jedoch leider nicht mehr automatisch Verlass, wenn es um die Verteidigung des Lebensrechtes ungeborener Menschen geht – erst recht nicht, wenn jetzt von Regierungsseite dagegen „wirksame gesetzliche Maßnahmen“ beschlossen werden sollen.

Abtreibungen sollen „niederschwelliger“ erreichbar werden

Fürchtet man vielleicht, dass empathische Beraterinnen unsichere Frauen noch umstimmen könnten, sodass sie sich am Ende doch für ihr Kind entscheiden? Denn das würde das Narrativ in Frage stellen, dass man sowieso keine einzige Abtreibung verhindern, sondern sie nur schwerer oder leichter machen könne. Die pure Existenz von Kindern, deren Mütter sich im letzten Moment doch noch für diese entschieden haben, ist eine bleibende Provokation für Abtreibungsbefürworter.

Dann heißt es im Vertrag:

„Wir stellen die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung wird auch künftig online möglich sein.“

Dieses Vorhaben passt in das Bild, das sich bisher bietet: Abtreibungen sollen „niederschwelliger“ erreichbar werden. Frauen, die sich in ihrem Verhältnis zu ihrem Kind unsicher sind und vielleicht ins Zögern und Nachdenken geraten würden, wenn sich ihnen Hindernisse in den Weg stellen würden – also wenn sie z.B. einer Beraterin von Angesicht zu Angesicht ihre Situation schildern müssten, oder wenn der nächste Arzt 200 km weit entfernt wäre, oder wenn jemand sie ansprechen und bitten würde, über Alternativen nachzudenken – sollen hier schnell zur Abtreibungspraxis weitergeleitet werden.

Hier scheint natürlich wieder die Einstellung durch, die die Pflichtberatung, in der Alternativen aufgezeigt werden sollen (die einer Frau vielleicht nicht bewusst sind), als reine Zumutung und Schikane betrachtet. Die Frau würde ja angeblich sowieso abtreiben, und man wolle es ihr nur unnötig schwer machen. Abtreibung soll dadurch gerechtfertigt werden, dass sie als völlig unvermeidbar und alternativlos dargestellt wird.

Dann heißt es:

„Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.“

rasch und unkompliziert

Der aktuelle § 219a StGB verbietet nun allerdings die Werbung für Abtreibungen lediglich „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ (§ 219a Abs. 1 StGB) und nimmt in Abs. 4 jene Ärzte, die ausschließlich darüber informieren, dass sie Abtreibungen vornehmen, ausdrücklich von der Strafverfolgung aus – tatsächlich wurde der Paragraph erst am 21. Februar 2019 dahingehend geändert und jener Abs. 4 hinzugefügt. Was also jetzt noch verboten ist und nach der Abschaffung des gesamten Paragraphen erlaubt wäre, sind z. B. Werbeplakate oder Werbespots durch einen Arzt, der sich auf Abtreibungen spezialisiert hat, wie: „Schnell erledigt – bald ist der lästige Embryo weg!“ oder „Ihr Spezialist für Schwangerschaftsabbrüche: Wir lösen Ihr Problem rasch und unkompliziert“ oder „Wir haben 20 Jahre Erfahrung mit der Beendigung von Schwangerschaften“.

Gegenwärtig ist also die Information über die bloße Abtreibungstätigkeit erlaubt, nur eine Werbung zum Zwecke des Vermögensvorteils ist verboten. Eine Verneblung dieses Sachverhalts zeigt sich auch in den Äußerungen der neuen Bundesregierung. So erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 15.12.2021 im Bundestag bei der Vorstellung seines Regierungsprogramms:

„Wir wollen, dass Ärztinnen und Ärzte öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung fürchten zu müssen. Daher werden wir den § 219a aus dem Strafgesetzbuch streichen“.

Hier tut Scholz so, als ob der Hinweis darauf, dass jemand Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, strafbar wäre – was es nach Abs. 4 eben gerade nicht ist.

Das Vorhaben der Streichung des Werbeverbots für Abtreibung scheint tatsächlich ein Herzensanliegen der Koalition zu sein: Über Twitter verkündete Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am 17.01.2022:

„Wir werden Paragraf #219a StGB streichen. Dabei verlieren wir keine Zeit: Heute um 14 Uhr informiere ich in einem Statement über einen Referentenentwurf zur Aufhebung des 219a StGB.“

Und Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte am selben Tag zum Referentenentwurf über die Aufhebung des #219a:

„Ausgerechnet ÄrztInnen, die fachlich am besten qualifiziert sind, dürfen im Netz nicht über Schwangerschaftsabbrüche aufklären. Diese Hürde müssen wir im Sinne der Betroffenen schnellstens aus dem Weg räumen.“

Zwar ist jegliche medizinische „anpreisende Werbung“ derzeit auch noch nach der ärztlichen Berufsordnung (v. 14.12.2018, § 27) verboten; es fragt sich jedoch, wie lange dieses Verbot nach der Streichung von § 219a StGB noch Bestand haben wird – und natürlich, wie die Ärztekammer es durchsetzen wird. Das Ziel ist offensichtlich: Die Regierung will Abtreibungen „entstigmatisieren“, sie nicht mehr als etwas Verbotenes behandeln, das man vielleicht nicht als gut, aber als unvermeidbar betrachtet, sie vielleicht sogar zur normalen ärztlichen Dienstleistung erklären wie eine „Zahnreinigung“. Ärzte werden jedenfalls in Zukunft viel positivere Äußerungen über Abtreibungen auf ihrer Homepage tätigen dürfen als nur „Wir führen Schwangerschaftsabbrüche durch“, solange sie nicht zu „anpreisend“ werden und dafür allenfalls eine Mahnung von der Ärztekammer erhalten könnten.

Ein weiteres Thema ist die künstliche Befruchtung, die nach dem Wunsch der Ampelkoalition vom Vorliegen einer Ehe losgelöst und für jede Person ermöglicht und ihr letztendlich vollständig finanziert werden soll; Embryonen sollen dann im Zuge der Präimplantationsdiagnostik auch aussortiert oder als Embryonenspende weitergegeben werden dürfen:

„Wir wollen ungewollt Kinderlose besser unterstützen. Künstliche Befruchtung wird diskriminierungsfrei auch bei heterologer Insemination, unabhängig von medizinischer Indikation, Familienstand und sexueller Identität förderfähig sein. Die Beschränkungen für Alter und Behandlungszyklen werden wir überprüfen. Der Bund übernimmt 25 Prozent der Kosten unabhängig von einer Landesbeteiligung. Sodann planen wir, zu einer vollständigen Übernahme der Kosten zurückzukehren. Die Kosten der Präimplantationsdiagnostik werden übernommen. Wir stellen klar, dass Embryonenspenden im Vorkernstadium legal sind und lassen den 'elektiven Single Embryo Transfer' zu.“

Hier wird der Mensch in der ersten Phase seines Lebens vollständig zur Ware und zum Besitz seiner Erzeuger gemacht, der weggeworfen oder an Dritte gespendet – vielleicht bald auch: verkauft? – werden darf. Da bleibt von „Embryonenschutz“ nicht mehr viel übrig.

Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches

Zuletzt werden noch weitere Gesetzesänderungen in Aussicht gestellt:

„Wir setzen eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird.“

Wenn man davon ausgeht, dass Abtreibungen am Ende vollständig außerhalb des StGB rechtlich geregelt werden sollen, wäre das logische Ergebnis, dass sie bis zum Einsetzen der Geburtswehen legal wären, d.h. in keinem Fall gerichtlich bestraft werden könnten. Eine ausschließliche Regelung z.B. durch die Ärztekammer hätte notwendigerweise diese Folge. Eine solche Situation besteht beispielsweise schon in Kanada, wo keine gesetzlichen Regelungen zum Thema Abtreibung existieren, ein Abbruch also sogar noch im 9. Monat legal durchgeführt werden kann.

Wenn Lebensschützer auf diese Folgen hinweisen, wird oft erwidert: Im 9. Monat werden doch sowieso keine Abtreibungen mehr durchgeführt. Dagegen könnte man einwenden: Wieso sollte man es dann legalisieren? Wenn ohnehin niemand von einer rechtlichen Möglichkeit Gebrauch macht, wieso muss sie dann durch eine Gesetzesänderung eigens geschaffen werden – besonders, wenn es sich um eine Möglichkeit handelt, bei der selbst viele politisch linke Personen noch „Bauchschmerzen“ bekommen? Eine solche Legalisierung hätte jedenfalls sicher zur Folge, dass auch mehr Schwangerschaften nach der 12. Woche abgebrochen werden würden – z. B. weil die Mutter sich bis zur 14. oder 16. Woche nicht entscheiden kann, oder weil sich ihre Lebensumstände in der 20. Woche ändern (z. B. die Beziehung zum Vater des Kindes zerbricht), oder weil ihre Schwangerschaft bis zur 24. Woche unerkannt geblieben ist. In jedem Fall würde eine solche Änderung den bisher ambivalenten Status des ungeborenen Kindes als rechtloses Wesen offiziell festschreiben – bis zur Geburt.

Wie leicht lässt sich eine solche höchstrichterliche Entscheidung kippen

Es stellt sich die Frage, ob die Ampelkoalition in ihren Vorsätzen deshalb nicht deutlicher geworden oder weiter gegangen ist, weil die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht hier zum Problem werden könnte, hat dieses Gericht doch klargestellt, dass das ungeborene Kind für die ganze Dauer der Schwangerschaft als eigenständiges Individuum mit Rechten gegenüber der Mutter anzusehen ist und der Gesetzgeber der Mutter durch das Grundgesetz schließlich „die grundsätzliche Rechtspflicht auferlegt, das Kind auszutragen“ (Urteil v. 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92, BVerfGE 88, 203). Insofern fragt sich: Wie leicht lässt sich eine solche höchstrichterliche Entscheidung kippen – oder wie lange muss man warten, bis die Verfassungsrichter in Karlsruhe dazu bereit sind?

Klar wird Eines: Die Rechte des ungeborenen Kindes werden von der neuen Regierung an jeder Stelle hintangestellt, genau genommen nicht einmal erwähnt. Sie werden auch nicht erst nach einer Rechtsgüterabwägung verworfen, sondern von vornherein als nichtexistent betrachtet. Das Thema Abtreibung wird als Ausdruck von „Selbstbestimmung“ und „Gesundheitsversorgung“ für bereits geborene Menschen abgehandelt, nicht als Entzug des Lebensrechtes von ungeborenen Menschen, den man (auch strafrechtlich) erschweren will, wenn man ihn schon nicht verhindern kann. Offensichtlich will die neue Regierung Abtreibungen zunächst im Rahmen des jetzigen Systems – Drei-Monats-Frist, Beratungspflicht – an allen möglichen Stellen erleichtern und fördern, um dann eine noch grundlegendere Änderung des Systems zulasten der Ungeborenen gesetzlich durchzusetzen.

Posted in Aktuelles on Jan 27, 2022

von: Julia Fischer
veröffentlicht am 27.01.2022
unter Aktuelles

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