Als ich mit unserem zweiten Sohn schwanger war, stellte meine Frauenärztin beim Routineultraschall mehrere Fehlbildungen am Fötus fest. Die Nackenfalte, die zu Beginn der Schwangerschaft noch üblich ist beim Kind, verschwand nicht und blieb über den normalen Zeitraum hinweg bestehen. Dazu stimmten einige andere Vermessungen auch nicht mit der Schwangerschaftswoche überein. Meine Ärztin fand beim Schallen am Herzen des Kindes Auffälligkeiten und auch der Darm war transparent. All diese Dinge sprachen laut meiner Ärztin für einen Gendefekt beim Kind wie z.B. das Down-Syndrom oder andere Chromosomendefekte. Sie riet mir dringend, in die nächstgrößere Stadt zu fahren, wo es einen Spezialisten gab, der genauere Ultraschalluntersuchungen durchführen konnte. Ich war verunsichert und auch ängstlich, aber mein Mann und ich entschieden, diese Untersuchung zu machen. Wir fuhren zu dem Spezialisten und der Ultraschall ergab auch hier dasselbe. Der Arzt bestätigte die gravierenden Fehlbildungen unseres Kindes und zählte uns die möglichen Szenarien auf: das Kind könnte bereits im Bauch absterben, es könnte eine Totgeburt werden, direkt nach der Geburt sterben oder schwerstbehindert zur Welt kommen.
Er riet uns zu einer Fruchtwasseruntersuchung, um sicher zu gehen und er sagte auch sinngemäß, es wäre doch besser, die Schwangerschaft direkt abzubrechen.
Diese Diagnose riss mir den Boden unter den Füßen weg. Die schöne und unbeschwerte Zeit der Schwangerschaft war mir genommen worden.
Der Arzt hatte so abwertend über mein Kind gesprochen, als wäre es ein krankes Etwas, ein Monster, das man besser entsorgen sollte. Auf meine Frage, ob es denn auch eine Chance gäbe, dass das Kind gesund zur Welt kommt, sagte er kurz und knapp:
„Ach ja, die Möglichkeit besteht, ist aber sehr gering.“
Ich weinte sehr viel in dieser Zeit und bat Gott um Hilfe. Mehrere Ultraschalluntersuchungen folgten, sowohl bei meiner Frauenärztin als auch bei diesem Spezialisten.
Die Diagnose blieb bestehen. Mein Mann und ich entschieden uns aber bewusst für das Kind. Eine Abtreibung war zu keinem Zeitpunkt eine Option für uns. Ich bat meine Ärztin nur, mich weiter auf dem Laufenden zu halten, damit ich zur Geburt in die Frauenklinik gehen konnte, an der auch die Kinderklinik angeschlossen ist und dass man dem Kind dann direkt helfen könnte.
Meine Ärztin war sehr beeindruckt von unserer Entscheidung. Mein Mann und ich waren damals gerade vierundzwanzig Jahre alt und bereiteten uns auf die Option eines Lebens mit einem schwerbehinderten Kind vor. Wir lehnten die Fruchtwasseruntersuchung ab, denn diese barg das Risiko einer Fehlgeburt und das wollten wir nicht riskieren.
Ich sagte zu meiner Ärztin, wir wollen dieses Kind auf jeden Fall. Wenn es vor oder nach der Geburt stirbt, dann stirbt es eben. Dann ist das Gottes Wille.
Gleichzeitig schalteten wir all unsere gläubigen Freunde, die Familie und Gebetskreise ein und baten um Gebet für unser Kind. Meine Mutter betete besonders zum Papst Johannes XXIII, denn sie hatte einmal seinen Geburtsort in Bergamo besucht. Dort gibt es ein ganzes Zimmer mit Dankestafeln voller Gebetserhörungen.
Gute Freunde besorgten uns sogar eine Reliquie des hl. Gerhard Majella. Er wird als Patron der Mütter und Kinder, als Patron des werdenden Lebens verehrt und viele beten bei Schwangerschaft, Geburt und auch ausbleibendem Kinderwunsch zu ihm.
Der Wille zu leben
Ich möchte noch kurz erzählen, dass meine beiden Cousins von Geburt an eine Muskeldystrophie hatten und im jungen Erwachsenenalter verstarben. Mein jüngerer Cousin lebte damals noch, als ich mit unserem Sohn schwanger war. Er war jedoch schon sehr schwach, konnte nur noch im Bett liegen und benötigte Sauerstoff.
Mein Vater ging damals zu ihm, setzte sich an sein Bett und erzählte ihm von der Diagnose meines ungeborenen Kindes. Er sagte: „Martin, wenn du noch mal leben dürftest, wenn du genau dieses Leben noch einmal führen würdest. Mit deiner Krankheit, mit dem Wissen, nicht alt zu werden. Was würdest du wollen? Noch einmal leben oder lieber erst gar nicht geboren werden?“ Mein Cousin antwortete:
„Ich würde auf jeden Fall leben wollen!“
Diese Aussage berührte mich tief. Ich fragte mich, wer sind wir, wer sind die Ärzte, die meinen, über ein Leben richten zu dürfen, darüber, welches Leben lebenswert ist und welches nicht?
Die Aussage meines Cousins bestätigte uns in der Entscheidung unser Kind zu bekommen.
Die Chance auf Leben
So beteten wir bis zum Ende der Schwangerschaft. Unser Sohn kam völlig gesund zur Welt. Er hatte und hat bis heute keine Herzprobleme, keine Chromosomendefekte oder Behinderungen.
Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass Gott ihn durch die vielen Fürbittgebete, durch unser Gottvertrauen und die Bereitschaft, das Kind so anzunehmen, wie es ist, im Mutterleib geheilt hat.
Julia