Was ist in Fällen von starken Missbildungen, die den frühen Tod des Kindes bedeuten können, wie beispielsweise bei Trisomie 18? Das wurden wir auf Instagram gefragt und haben so geantwortet:
Hallo @█████,
danke dass Du Dir Zeit nimmst, auch mal eine andere Position anzuhören. Denn das ist unser Hauptanliegen – mit Leuten ins Gespräch zu kommen, auch wenn wir nicht alle Ansichten teilen. Beide Seiten sollten sich öfter zusammensetzen und miteinander reden.
Du möchtest aber wissen, welche Einstellung genau wir vertreten, was Abtreibung betrifft. Ich möchte Dich Fragen, haben alle Erwachsenen Menschen das gleiche Recht auf Leben?
Wenn ja, dann müssen wir wirklich alle ein Attribut gemeinsam haben, das verlangt, dass wir uns gegenseitig gleich behandeln. Es kann nichts sein, das in verschiedenen Graden existiert (wie Größe oder Intelligenz), sonst würde das nicht unser gleiches Recht auf Leben erklären.
Was haben wir denn dann alle gemeinsam? Ist es das Menschsein? Reicht schon alleinig die Menschlichkeit, um uns diese Rechte zuzusprechen?
Rein biologisch gesehen ist es unumstritten, dass das menschliche Leben mit der Befruchtung beginnt. Wenn ab der Befruchtung, ein neues menschliches Leben entsteht, komplett eigenständig und einzigartig in der DNA, müssen wir dann nicht auch schon ab diesem Zeitpunkt jedem Leben mit Würde begegnet und versuchen, dieses zu schützen?
Der Staat sieht sich in der Pflicht, die Menschenwürde jedes Menschen, auch des “ungeborenen menschlichen Lebens” [1] zu beschützen. “Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter.”
Wie wertvoll und welchen Erfolg aber hat dieses Gesetz, dass an dieses Menschen- und Grundrecht jedes menschlichen Lebens ein großes “aber…” anhängt?
Wenn dieser Schutz nur dann gilt, wenn die Mutter sich in der Lage fühlt, ein weiteres Kind zu versorgen? Wenn der Partner oder die Eltern die Mutter nicht unter Druck setzen, abzutreiben? Was, wenn man während des Studiums einfach nicht schwanger sein kann/möchte? Wenn dieser Mensch das Resultat einer Vergewaltigung ist? Wenn dieser Mensch eine Behinderung hat?
90% aller Frauen, die während der Schwangerschaft eine Diagnose Trisomie (21, 18, 13) für ihr Kind bekommen, entscheiden sich für die Tötung [2] – unabhängig davon, ob diese Behinderung lebensbedrohlich ist, oder nicht; ob es um eine leichte Lernstörung oder einen operablen Herzfehler handelt.
Aber wenn wir über eine potenziell tödliche Diagnose im Mutterleib reden, und Du diese Entscheidung auch bei einer dreijährigen treffen würdest, dann geht es bei dieser Frage nicht um Abtreibung, sondern Euthanasie. Euthanasie ist in Deutschland bereits verboten (§ 216 StGB [3]).
Die Autonomie und Würde des Menschen und der Respekt vor menschlichem Leben ist ein wichtiger, kontinuierlicher Bestandteil der Medizinethik. Dieses Verlangen von Ärzten, Leben zu schützen war schon in der Antike Bestandteil des hippokratischen Eids und findet sich auch heute noch in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes. [4; 5]
Das Verlangen, Kindern Schmerzen zu ersparen und ein glückliches Leben zu ermöglichen ist ein verständliches Verlangen. Aber der Wunsch, Schmerzen zu vermeiden und Wohlbefinden zu fördern, ist eine fragwürdige Rechtfertigung dafür, jemandem das Leben zu nehmen.
Ich denke, eine wichtige Frage, die man sich stellen muss, ist, ob die Entscheidung, ein Kind zu töten, wirklich um des Kindes willen erfolgt – denn wie kann das sein? Der menschliche Naturinstinkt ist es, zu überleben. Ein Kind mit schweren Behinderungen würde eine Änderung des Lebensstils der Eltern nach sich ziehen. Es ist eine überholte fatalistische Meinung, dass Kinder mit dieser Krankheit kein schönes Leben führen können. Leiden ist nicht gleichbedeutend mit Wert- und Sinnlosigkeit.
“Die Hälfte der Kinder mit Trisomie 18 hat einen Ventrikelseptumsdefekt (VSD – ein Loch im Herzen), eine Standardoperation. Die meisten anderen haben Defekte, bei denen eine Rekonstruktion zu einem normal funktionierenden Herzen führen kann. Wenn eine Familie eine Operation für ein Kind mit VSD oder Tetralogie oder sogar Lungenatresie verweigert, würden wir sie vor Gericht bringen, das Kind aus der Familie nehmen und uns um sie kümmern. […]
Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn die Trisomie 18 Kinder nicht richtig versorgt werden, sterben sie. Mit adäquater Versorgung können sie eine beträchtliche Zeit leben. 70 bis 80 Prozent der Trisomie-18-Babys überleben eine Herzoperation. 50 Prozent dieser Kinder werden 16 Jahre später noch leben.” [6]
Und dann bleibt da für immer dieses “Was wäre wenn …?“. Was wäre, wenn mein Kind zu diesem kleinen Prozentsatz gehörte, das falsch diagnostiziert wurde? [7] Denn während der Schwangerschaft ist noch gar nicht genau identifizierbar, wie stark die gesundheitlichen Einschränkungen überhaupt sind und ob und in welchem Umfang das Kind wirklich leiden würde.
Erlöst man durch den Akt des Tötens das ungeborene Kind wirklich vor jedem möglichen Leiden und Schmerz oder wird am Ende nur das Leben des Kindes beendet, ohne dass das Kind jemals die Umarmung der Eltern spüren darf?
Die größte Quelle der Ermutigung für Eltern, die mit einer schwierigen Diagnose konfrontiert wurde, können die inspirierenden Geschichten von Familien sein, die sich dafür entschieden haben, jeden Moment mit ihrem Kind zu genießen, anstatt dieses Leben durch den gewaltsamen Akt der Abtreibung zu verkürzen.
Um deine Frage zu beantworten: Da Abtreibung einen Menschen tötet, muss es logischerweise illegal sein und konsequenterweise gerecht bestraft werden. Aber viel wichtiger ist uns, Abtreibung undenkbar zu machen. Wir wollen, dass jede Frau die Betreuung und Unterstützung hat, die sie braucht, Abtreibung nicht als “Lösung” ansieht und jedes Kind die Chance bekommt, sein Leben in vollen Zügen zu leben. Denn wenn es einen Herzschlag gibt, gibt es Hoffnung.
[1] https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html
[2] https://www.aerztezeitung.de/Politik/Trisomie-21-Diagnose-fuehrt-meist-zur-Abtreibung-295904.html
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__216.html
[4] https://www.aerzteblatt.de/blog/42037
[5] https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/International/Deklaration_von_Genf_DE_2017.pdf
[6] https://www.childrensomaha.org/health-news/from-despair-to-hope-how-trisomy-families-are-reaching-out-to-childrens-and-childrens-is-reaching-back/
[7] https://www.profamilia.de/fileadmin/dateien/fachpersonal/familienplanungsrundbrief/pro_familia_medizin_2_2014.pdf