Aus „Hauptsache gesund“ wird „Hauptsache geliebt“

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Wir, Doris und Johannes (beide damals 25 Jahre jung) haben im August 2020 geheiratet. Unser ganzes Leben hindurch waren wir umgeben von Kindern. Die Liebe zu den Kindern und das "Hobby" die Freizeit mit ihnen zu verbringen, ist eine Leidenschaft die uns beide verbindet. So wuchs auch in uns der Wunsch, eigenen Kindern das Leben zu schenken.

Ich komme gerade aus dem Krankenhaus… Mit unserem Kind sieht es nicht gut aus…

Schon Ende Oktober 2020 war es so weit. Wir freuten uns so sehr, dass Doris schwanger war und uns die Gnade zuteil wurde, dass sie eine kleine Seele unter ihrem Herzen trug.

Am 23. Dezember rief mich meine Frau unter Tränen an: „Ich komme gerade aus dem Krankenhaus… Mit unserem Kind sieht es nicht gut aus…“. Der Verdacht des Arztes liegt auf Trisomie 13. Ich bin vertraut mit Trisomie 21, von Trisomie 13 habe ich selbst noch nie gehört. Es ist eine seltene Generkrankung, bei der 80 Prozent der Kinder schon vor der Geburt sterben, die anderen nur eine sehr geringe Lebenserwartung haben. Das muss ich erst einmal verdauen, doch dann schicke ich meiner Frau ein SMS: „Egal was passiert, ich halte zu dir“. Sie antwortet vertrauensvoll: „Das weiß ich doch eh“. Der Arzt aber entlässt meine Frau mit den Worten:

„Wenn sich der Gendefekt bestätigt, wirst du deine Schwangerschaft ja eh beenden.“

Welch eine menschenverachtende Aussage!

Wie viele Tränen wären uns erspart geblieben, wenn man achtsamer und sensibler mit einer jungen Frau sprechen würde, die allein und unvorbereitet, nach einer Routinekontrolle beim Frauenarzt ins Spital geschickt wird. Wird hiermit nicht suggeriert, dass die kleine Seele, die meine Frau unter ihrem Herzen trägt, unwertes oder unerwünschtes Leben sei? Welch eine menschenunwürdige Rhetorik des Arztes! "Die Schwangerschaft beenden", eine Umschreibung in der man nicht einmal mehr erwähnen muss, dass man hier ein hilfloses, unschuldiges Wesen, ja unser eigenes Kind, tötet.

Die meisten werden abgetrieben

Am 4. Januar 2021 gehen wir zur Fruchtwasseruntersuchung. Der Befund bestätigt am 18. Jänner, dass unser Kind ein „13q-Deletionssyndrom“ hat. Ähnlich zu Trisomie 13 kommen Kinder mit dieser Diagnose selten lebend zur Welt. Die meisten werden abgetrieben oder sterben vor der Geburt. Wir wollen das Geschlecht unseres Kindes wissen, damit wir ihm/ihr einen Namen geben können.

Zufällig fallen meine Blicke im Befund auf die Worte: „Weiblicher Chromosomensatz“. Auf Nachfrage, ob wir eine Tochter bekommen, heißt es nur knapp „ja“. Da sagt keiner, dass es sich um einen Menschen mit Herz und Seele handelt, keiner sagt „Ich darf euch gratulieren, dass ihr ein Mädchen bekommt. Als ob die Ärzte selbst nicht glauben, dass das ein Mensch ist. Der Arzt gibt uns seinen Rat deutlich zu spüren:

„Ihr könnt selbst entscheiden, ABER 90 % aller Paare in eurer Situation würden die Schwangerschaft jetzt beenden“.

Schon wieder diese Rhetorik. Ich werde direkt und gehe in die Offensive: Welchen vernünftigen Grund können Sie mir nennen, dass ich mein eigenes Kind umbringen lassen soll? Da entgegnet mir der Arzt:

„Wenn deine Frau jetzt eine Tablette nimmt, ist die Sache vorbei und ihr könnt euch auf die nächste Schwangerschaft konzentrieren. Außerdem macht das für die Frau einen Unterschied, ob ihr das jetzt erledigt, oder Sie später eine Totgeburt durchmachen muss“.

Wir wissen nicht ob sie lebend zur Welt kommen wird, aber wir wissen, dass wir sie lieben

Unter Tränen gebe ich ihm zu verstehen: Wenn das Kind später auf die Welt kommt, dann kann ich es in meine Arme nehmen, ich kann es taufen lassen. Vielleicht muss ich es beerdigen, aber dann habe ich wenigstens einen Platz, den ich zum trauern aufsuchen kann. Daraufhin ignoriert mich der Arzt. Er lässt mich spüren, dass ihn das kaum interessiert und wendet sich Doris zu: „Ja, entscheiden musst es trotzdem du.“ Er sagt uns noch dass wir uns mit unserer Entscheidung ja Zeit lassen können, weil es hier „eh keine Fristen“ gibt.

Auf Nachfrage, ob für Ihn behinderte Kinder weniger wert sind als Gesunde, gibt er mir zur Antwort, dass er mich nur aufklären müsse, was rechtlich erlaubt und möglich sei. Völlig sinnlos also, dass ich ihm vorher schon dreimal erklärt habe, dass eine Abtreibung für uns nicht infrage kommt. Ganz ehrlich, ich schäme mich in so einer Gesellschaft zu leben. Ab diesem Tag haben wir einen Namen für unsere Tochter. Wir wissen nicht ob sie lebend zur Welt kommen wird, aber wir wissen, dass wir sie lieben, egal was passiert.

Am nächsten Tag während der Arbeit mache ich mir so meine Gedanken. Was, wenn Doris unser Kind einfach nicht mehr haben will…!? Ich wäre ausgeliefert. Hilflos. Ich könnte sie in ihrer Entscheidung nicht beeinflussen. Das wäre das schlimmste für mich. Doch Doris beweist ihre Mutterliebe zu unserem Kind jeden Tag aufs Neue. Ihre Liebe zu unserem Kind ist gleichzeitig ein Liebesbeweis an mich!

das Licht der Welt erblickt

Die Schwangerschaft verlief trotz des geringen Gewichtes unserer Tochter ohne Probleme. Unsere Tochter Anna kam am Sonntag, den 27.Juni 2021 frühmorgens nach einer schnellen und unkomplizierten Spontangeburt zur Welt. Mit zarten 1380g hat sie im St. Josefs Spital in Wien das Licht der Welt erblickt. Trotz ihres schweren Gendefekts (Deletionssyndrom 13q31-34) begann die Kleine zu aller Verwunderung bereits nach kurzer Zeit zu nuckeln und gab kräftige Lebenszeichen von ihr. Das Leben ist eben voller verborgener Schönheiten.

Wir sind sehr dankbar für die fürsorgliche, herzliche und liebevolle Betreuung auf der "palliativen Neonatologie" im St. Josefs Krankenhaus, die wir nach 8 Tagen im Familienzimmer gemeinsam mit unserer Tochter verlassen konnten. Was für ein gewaltiger emotionaler Augenblick, mit dem Kind nach Hause gehen zu dürfen, dem die Ärzte ein Leben außerhalb des Mutterleibes nicht zugetraut hatten.

Sich um so ein besonderes Kind zu sorgen, ist im Lebensalltag oft nicht einfach, wir sind aber zutiefst dankbar für das Geschenk ihres Lebens und freuen uns jeden Tag, den wir mit ihr verbringen dürfen. Mit ihrem Alter von sieben Monaten bringt Anna nun 2,2kg auf die Waage. Die Zukunft ist ungewiss, wir leben aber in tiefem Gottesvertrauen und glauben, dass spätestens im ewigen Himmelreich alles gut wird.

Nach der Bestätigung ihrer genetischen Besonderheit (während der Schwangerschaft) nahmen wir unsere Anna ganz bewusst als unser geliebtes Kind an. So sagten wir "Ja" zu Gottes Wirken. Wir haben diese Entscheidung noch keinen Tag bereut und werden auch jedes weitere Kind annehmen. Denn die Liebe zählt keine Gensequenzen und die Unsterblichkeit der menschlichen Seele kümmert sich nicht um Chromosomen.

Ich hoffe, dass durch unser Schreiben die Schönheit und Liebenswürdigkeit des Lebens, auch in Form eines schwer behinderten Menschen, sichtbar wird. Und wir so andere werdende Eltern ermutigen können, sich für ihr Kind zu entscheiden

Zum Abschluss eine Bitte: Setzen wir uns ein für die Unantastbarkeit der menschlichen Würde von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.

Wenn wir den Wert des Menschen auf seinen wirtschaftlichen Nutzen reduzieren, dann funktionieren wir nur noch wie Maschinen, und unser menschliches Dasein verliert jede Schönheit, jeden Glanz und jegliche Menschlichkeit, derer wir Menschen so sehr bedürfen.

Doris und Johannes Steinbacher

⋆ 27.06.2021 † 13.5.2022

Am Freitag den 13.5.2022 frühmorgens ist unsere Anna friedlich das letzte Mal auf dieser Welt eingeschlafen. Aufgrund ihrer genetischen Besonderheit lebten und erlebten wir die Zeit mit Anna sehr bewusst. Sie verstarb 45 Tage Tage vor ihrem ersten Geburtstag. Wir sind dem Herrn dankbar für diese Zeit, die uns mit ihr geschenkt wurde. Jene Zeit, die wir mit ihr verbringen durften, war geprächt von Liebe, die wir empfangen haben, und weitergeben konnten.

Trotz ihrer Zartheit steckte so Großes in diesem kleinen Körper. Wir lieben die Symbolik, dass wir ihre Seele aus unseren Händen in die Hände unseres himmlischen Vaters reichen durften. Sie ist ein Geschenk. Zuerst ein Geschenk von Gott an uns. Jetzt ist sie ein Geschenk an unseren Herrgott. Für die Welt ist sie ein Geschenk-ein Vorbild, das zeigt, dass das wichtigste im Leben nicht das vollbringen von irgendwelchen irdischen Leistungen ist. Das wichtigste im Leben ist zu lieben, und sich lieben zu lassen.

Als passend zu unserer Situation fällt mir auch immer wieder die Bibelstelle Markus 9,36 ein.

Wir danken unseren Familien, Freunden, Verwandten, Bekannten und Wegbegleitern, die uns unterstützt haben, uns behilflich waren, und sei es nur durch eine kleine Geste. Wir danken allen, die Freude und Dank an unserer Entscheidung fanden, Anna das Leben zu schenken, die uns begleitet haben, die sich mit Anna verbunden fühlen.

Wir hoffen, dass unser Handeln Mut macht, dass sich künftige Eltern in schwierigen Situationen für Ihr Kind entscheiden können. Wir wünschen uns, dass wir durch unsere Geschichte die Herzen von Menschen erreichen, damit unsere Gesellschaft zu einer "pro-Life" Einstelllung findet. Wir freuen uns, wenn durch unsere Geschichte auch nur eine einzige Seele zur Wahrheit findet. So haben wir unser Ziel nicht verfehlt.

Posted in Zeugnisse on Mär 20, 2022

von: Doris und Johannes Steinbacher
veröffentlicht am 20.03.2022
unter Zeugnisse

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